ethnografische notizen 293: bozen/bolzano 

Ich verlasse das Hotel durch den Garten und folge der Straße, vorbei am Rathaus, in Richtung Fluss. Die Laubengasse ist schmal und links und rechts gesäumt von den „portici“, den typischen Kolonaden mit ihren kleinen Geschäften. Die strengen Blicke der mir entgegenkommenden Radfahrerinnen machen deutlich, dass ich nicht auf der Straße, sondern in den Laubengängen zu gehen habe. An der nächsten Kreuzung riecht es plötzlich angenehm nach Wurst und ich realisiere, dass ich außer dem kleinen Beutel Schüttelbrot im Flugzeug noch nichts gegessen habe.

Hinter einer makellosen fahrbaren Theke aus Edelstahl steht eine ebenso makellose Mitfünfzigerin. Für einen Würstelstand ist sie auffallend elegant gekleidet. Der Gürtel ihres lindgrünen Blusenkleids betont ihre schlanke Taille, das sorgfältig blondierte Haar fällt in großen Locken auf ihre Schultern, als käme sie gerade vom Friseur.

Ich betrachte das Angebot, in Plastik laminierte Fotos unterschiedlicher Würste mit zweisprachigen Unterschriften. Es gibt Meraner und Frankfurter, im Brot oder als Currywurst.

„Eine Paprika bitte“, entscheide ich mich.

„Die braucht ein paar Minuten. Haben Sie Zeit?“

Ich versichere, dass ich keine Eile habe und trete einen Schritt zur Seite.

Eine Frau aus einem der umliegenden Geschäfte wird vorstellig und bekommt ohne viel Worte zwei Frankfurter mit Semmel überreicht.

„Ich bin gerade in einem Loch“, seufzt sie und läuft zurück zu ihrer Arbeit.

Die Wurstdame wischt mit einem frisch gewaschenen roten Mikrofasertuch ein paar unsichtbare Flecken von der Theke. So, als würde sie in einer staublosen Boutique für Luxushandtaschen stehen und nicht hinter einem Würstelstand auf einem eher touristischen Markt mit Gewürzmischungen und getrockneten Pilzen.

Während sie wartet, dass meine Wurst heiß wird, versieht sie die Kante einer der Schubladen des Karrens mit einem grauen Filzklebestreifen. Aus einem kleinen Mäppchen nimmt sie eine schlichte Metallschere und schneidet den Filz mit äußerster Konzentration der Länge nach in zwei Stücke.

„Mit Senf?“, fragt sie mich schließlich und legt ein Papier auf einen Pappteller.

Ich nicke. 

„Ganz lassen oder durchschneiden?“

„Bitte durchschneiden“, sage ich und setze mich zum Essen auf die Stufen des benachbarten Trinkbrunnens.

Hilft aber nichts, am Ende der Wurst habe ich trotzdem zwei fette Senfflecken auf der Hose. Als ich sie auswaschen will, kommen ein Mädchen und ein Junge auf dem Fahrrad angefahren. Achtlos lassen sie ihre bunten Räder neben dem Stand fallen. Das Mädchen klettert auf den Brunnen, um aus dem Hahn trinken zu können. 

„Hallo“, ruft sie in Richtung der Wurstboutiquebesitzerin.

„Hallo“, antwortet die Frau und tritt unter dem grünen Schirm hervor, um besser sehen zu können. „Geht’s dir gut?“

ethnografische notizen 292: frankreich 2021 (12/14)

Tartare tradionnel, Troyes 09/2021

Auf dem Weg von der Bretagne in die Vogesen machen wir Mittagspause im Département Aube. Die Stadt Troyes hatte ich eigentlich nicht besonders gut in Erinnerung – viele Fachwerkhäuser, ein wenig heruntergekommen. Diesmal aber zeigt sich das historische Zentrum in einem ganz anderen Licht.

Weiterlesen

ethnografische notizen 289: frankreich 2021 (9/14)

Wilde Blaubeeren, Vogesen 09/2021

In der Bretagne finden wir ein paar saure Brombeeren und massenhaft Schlehen in den Hügeln oberhalb der Küstenlinie. Außerdem ein paar Bäume mit wilden Äpfeln. Ein paar besonders schöne Exemplare davon lesen wir auf und nehmen sie mit nach Hause. Unterschiedliche Sorten, von fahlgelb über hellgrün bis dunkelrot.

Weiterlesen